Eine friedliche Bewegung kämpft seit Jahren gegen Gewalt und Unterdrückung, und es ändert sich nicht viel. Doch dann ändert sich plötzlich alles.
Warum bleiben viele komplexe Systeme – Kulturen, Umgebungen, Wirtschaften – scheinbar stecken (oder im guten Fall "stabil"), obwohl es viele Bemühungen gibt diese zu ändern? Und warum geschieht Veränderung, wenn sie dann passiert, oft plötzlich kasskadierend (oder im schlechten Fall zusammenbrechend)?
Es gibt ein Werkzeug welches uns helfen kann das zu verstehen: Attraktor Landschaften. Oder einfach gesagt: "Ein Ball der ein paar Hügel runter rollt". Dieses Werkzeug wurde ursprünglich für die Physik entwickelt, aber seither wurde es auch genutzt um Genetik, Neurowissenschaften, politische Allianzen und vieles mehr zu verstehen!
Ich werde Attraktoren an einem Umweltbeispiel erklären. Lass uns annehmen, dass du in einem kleinen, öden Teich angelst. Du kannst deine natürlichen Fischressourcen ziemlich einfach erschöpfen...
Zum Glück reproduzieren sich Fische, sodass deine Fischpopulation mit der Zeit wieder anwächst. Ünglücklicheweise sterben Fische über einem gewissen Schwellwert an Überbevölkerung. Und es kommt noch schlimmer. Unterhalb eines bestimmten Schwellwertes existieren so wenige Fische, dass sie schneller sterben als sie sich reproduzieren können.
Lass uns also angeln gehen mit diesen Einflüssen auf Wachstum und Sterben:
Wenn du nicht zu viele Fische fängst, bleibt die Bevölkerung=70 im Ökosystem stabil. Du bist nachhaltig! Fängst du allerdings zu viele Fische, zieht es die Bevölkerung=0 im Ökosystem auf 0. Du hast sie alle getötet!
Erst ändert sich nicht viel. Dann ändert sich plötzlich alles.
Deshalb werden Bevölkerung=0 und Bevölkerung=70 Attraktoren genannt: denn sie "locken" das System an. Ähnlich dazu nennt man den Punkt mit Bevölkerung=30 einen Repellor, denn wenn die Bevölkerung knapp unter oder über 30 ist, wird sie vom Wert 30 abgestoßen. Bevölkerung=30 wird auch Wendepunkt genannt, weil es der Punkt ist, an dem das Ökosystem "umkippt" vom Attraktor Bevölkerung=70 hin zum Attraktor Bevölkerung=0.
Oha, das sind viele Begriffe. Wäre es nicht schön einfach zu sehen wie sich das System verhält für allen möglichen Bevölkerungszahlen? Genau dabei helfen Attraktor Langschaften! Wenn wir die Geschwindigkeit der Wachstrums-/Sterberaten umwandeln in eine Reihe von Hügeln (größere Geschwindigkeiten → steilere Hügel) und einen Ball dazu packen , bekommen wir soetwas:
Wenn wir solch eine Landschaft gemalt haben ist es leicht zu sehen, wie sich das System verhält! Berge sind Repelloren; Täler sind Attraktoren.
Die tiefe eines Tals gibt an wie viel Energie benötigt wird, um dem Attraktor zu entkommen. (z.B.: Bevölkerung=0 ist tiefer als Bevölkerung=70; Das ist der Grund, warum es einfacher ist ein Ökosystem zum Zusammenbruch zu bringen als es wiederherzustellen.)
Die Breite eines Tals nennt man Anziehungsbecken – den Bereich innerhalb dem der Attraktor eben anziehend wirkt. (z.B.: Das Anziehungsbecken der Bevölkerung=70 ist der gesamte Bereich zwischen 30<Bevölkerung≤100)
(Hinweis: Unsere Attraktor Landschaft ist 2D, weil wir nur einen Parameter haben: Die Bevölkerungszahl. Wenn wir mehrere Parameter hätten, würden wir eine 3D Landschaft oder sogar 4D, 5D oder 100D Landschaft haben! Bei höheren Dimensionen gibt es sogar etwas das sich Seltsamer Attraktor nennt... Aber dazu kommen wir ein ander mal.)
In unserer Ball-und-Hügel-Metapher ist das Fangen und Aussetzten von Fischen dein Versuch den Ball zu bewegen. Aber was wäre, wenn du die Hügel versetzten könntest? In diesem Angelbeispiel würde das bedeuten, die Attraktoren des Ökosystems zu verändern. Etwa in dem Raubtiere (wieder-)eingeführt werden, die Verbreitung von Pflanzen zu erhöhen, und so weiter.
Wenn du nur den Ball bewegst, rollt dieser einfach auf einen Attraktor zurück. Aber wenn du die Hügel bewegst, bleiben deine Veränderungen bestehen! Du veränderst das zugrunde liegende System an sich.
Lass uns ein paar Beispiele ohne Angeln betrachten, um zu sehen, dass Attraktor Landschaften wirklich eine leistungsfähige Methode sind um Systeme zu verstehen. Hier sind ein paar Beisiele aus wissenschaftlichen Arbeiten (wissenschaftliche Arbeiten sehen schließlich oft so nach Powerpoint aus):
Zum Schluss schauen wir uns noch einmal unsere Angelsimulation mit allem drum und dran an!
Das nächste mal, wenn du dich also fragst warum Dinge auf eine bestimmte Art und Weise in einem bestimmten Zustand verharren, frage dich:
- Was sind die "Attraktoren" dieses Systems?
- Wie "tief" sind die Täler? (tiefer = schwieriger zu entkommen)
- Wie "breit" sind die Täler? (breiter = größere Reichweite der Anziehung der Attraktoren)
- Können wir nicht nur den Ball, sondern auch die Hügel bewegen? (das zugrunde liegende System verändern)
Und falls du dich jemals in einer Situation wiederfinden solltest in der du von der Welt frustriert sein solltest, denke daran: Bei vielen Systemen ändert sich über längere Zeit nicht viel.
Und dann ändert sich plötzlich alles.